Eine „sehr persönliche Geschichte“ hat Andreas Fischer mit seinem Roman „Die Königin von Troisdorf“ geschrieben. Er blickt darin auf die Traumata, die durch Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg verursacht wurden und in seiner Familie zu spüren waren. Der Freundeskreis der Stadtbücherei Rösrath hat ihn zu einer Lesung im Augustinushaus eingeladen, damit können Interessierte auch in Rösrath in Fischers Familiengeschichte eintauchen.
Zwei Jahre nach Erscheinen hat Fischers Buch ein enormes Echo gefunden. „Damit habe ich im Traum nicht gerechnet“, stellt der Autor und Filmemacher fest, der seit 1987 in Berlin lebt. „Es ist ein Generationenthema“, sagt er mit Blick auf die Folgen der Kriegs-Traumata für die Kinder und Enkel der Betroffenen. […] „Das Biografische hat mich immer am allermeisten interessiert“, sagt Fischer über seine Arbeit. Sich nun mit schmerzlichen Erfahrungen in seiner eigenen Biografie zu beschäftigen, sei aber eine emotionale Herausforderung gewesen. Vor diesem Hintergrund trägt er den Text seines Buchs bei Lesungen nicht selbst vor, sondern überlässt das Volker Niederfahrenhorst, einem erfahrenen Sprecher. In der Diskussion über das Vorgelesene bringt Fischer sich aber engagiert ein.
Bestimmte Rituale in der Familie stehen für Aufmerksamkeit und Liebe, die man sich in diesem Verbund wechselseitig erweist. Wer zum eigenen Geburtstag zumindest von der Tante einen Kuchen erhält, möchte dieses Ritual gerne auch Vater und Mutter gegenüber erweisen. Der Vater verbietet sich grundsätzlich jede Erwähnung, geschweige denn die Feier seines Geburtstags. Die Mutter hat, als ihr der Junge zum Geburtstag den Tisch gedeckt hat, nichts besseres zu tun, als die von ihm liebevoll geschmierten Brote mit Zucker in den Mülleimer zu schmeißen.
Solcherart ist die organisierte Lieblosigkeit, die in Andreas Fischers autobiographischen Roman „Die Königin von Troisdorf” herrscht. Der in dieser Industriestadt heranwachsende Andreas muss sich gegen gleich 6 Erwachsene behaupten: Mutter Ilse, Inhaberin eines Fotogeschäfts, der Vater, meist hinter Zigarettenqualm und Suff verborgen, Oma Lena, Opa Paul, Tante Hilde und Onkel Bruno. Besonders einflussreich in diesem System zeigt sich das Duo aus Großmutter Lena und Mutter, die alle wichtigen Entscheidungen treffen. Wohlgemerkt: Wir schreiben die 60er Jahre! Omas Ruf reicht auch über den Haushalt der Familie hinaus. Sie maßregelt auch die Nachbarschaft, weshalb sie den Spottnamen „Königin von Troisdorf” erhält.
Schon der 8jährige Andreas stellt Überlegungen an, woher dieser „ein(en) bestialischen Gestank” verbreitende allgegenwärtige „Hass” herrührt. Keine Gelegenheit, den Jungen zu erniedrigen, wird ausgelassen: Er wird als „Köttel” oder als jemand, den „man mit dem Kopp gegen die Wand klatschen” sollte, angesprochen. (Gelegentlich musste ich mir beim Lesen von soviel Schwarzer Pädagogik am Stück klar machen „Er hat es überlebt”. Die positive Schlussfolgerung lautete: Bei allem, was meine Eltern an mir und meinen Geschwistern falsch gemacht haben mochten: Sie zeigten uns grundsätzlich vor allem Zuwendung. Das Maßregeln und Herabsetzen war die Ausnahme.)
Die Herkunft des Hasses bringt die zweite Erzählebene ins Spiel. Fischer beschreibt, häufig von Brieffunden oder anderen Dokumenten ausgehend, den militaristischen Subtext dieser Familiengeschichte. Für diese steht der Untertitel des Romans Wie der Endsieg ausblieb. Hier geht es um solche Fragen: Wie haben Wehrdienst und Kampfeinsatz der Männer der Familie deren Denken und Leiden geprägt? Welche Ideologien von starkem Vaterland haben die Männer dazu gebracht, ihren Kriegsdienst nicht vornehmlich überleben zu wollen, sondern geradezu todesversessen zu sein?
In dieser Hinsicht berühren besonders im Roman zitierte Briefe des 1942 in Russland gefallenen Onkels Günther. Immer wieder schreibt er von seinen Bemühungen, nicht weiter Ausbilder zu sein, sondern zur kämpfenden Truppe zu kommen. Er jiepert geradezu nach seinem Tod, der ihn dann auch mit der zu erwartenden Wahrscheinlichkeit ereilt.
Frauen sind in dieser Denkwelt nur Dekoration und wahlweise besorgte Mütter oder Liebhaberinnen. Vielleicht ist der „Hass”, der dem heranwachsenden Andreas entgegen gebracht wird, die Kehrseite dieses Ausgeliefertseins der Frauen. Wenn sie nicht aktiv und vielleicht sogar politisch Front gegen alles militaristische Denken machen, können sie zumindest die moralische Keule auspacken. Alles Männliche wird – auch außerhalb von Krieg und Militär – abgrundtief gehasst und Männer verachtet.
Andreas Fischers Roman bringt es auf 470 Seiten. Formal ist dieses Buch eher sperrig. Ein Staccato aus meist nur kurzen, häufig ein bis zwei Seiten umfassenden Texten durchblättert das Familienarchiv und Fischers Erinnerungen. Die Verschränkung von Vorzeit und Jetztzeit der Troisdorfer Gegenwart lässt kein bestimmtes Schema erkennen. Trotz dieses dokumentarischen und distanzierenden Ansatzes hat Fischer mich durch die nüchterne, aber liebevolle Sicht auf den Jungen, der er mal selbst war, gefesselt. Ein übergeordnetes Thema könnte mit dem Stichwort „Transgenerationales Trauma” beschrieben sein. Nicht nur die beschädigenden Kriegserfahrungen der Männer aus dem 1. und 2. Weltkrieg werden weitergereicht. Auch die Fühllosigkeit einer Freundin, die den Ich-Erzähler der Jetzzeit trotz einer akuten Nierenkollik im Stich lässt, passt zu sehr in das Schema der Kalten Frau als Komplement zu der offen gewaltsamen Männerkultur. Das Buch ist jetzt aber keineswegs tristesse pure. Auch Ereignisse, die lustig oder verblüffend sind oder zum Vergleich mit der eigenen Biographie anregen, haben ihren Platz. Unerwartet, aber um so wichtiger, findet der Vater sogar zu einem Akt väterlicher Solidarität dem Sohn gegenüber. Unbedingt lohnende Lektüre!
Der Filmemacher und Schriftsteller Andreas Fischer erzählt über die langjährige Entstehungsgeschichte seines Roman „Die Königin von Troisdorf – Wie der Endsieg ausblieb“ und darüber, wie er einen eigenen Verlag gründete und welche Schwierigkeiten sich auftaten, das Buch in den Handel zu bringen.
Ralph Segert: Wie bist Du auf die Idee gekommen, über Deine Kindheit zu schreiben?
Andreas Fischer: Ich war schon sehr lange der Ansicht, dass sich die Geschichte meiner Eltern und meiner Kindheit lohnt, erzählt zu werden. Bereits 1994 habe ich einen Dokumentarfilm von 30 Minuten über meine Familiengeschichte gemacht: „Die Geschichte von der Trans-Ural-Photogesellschaft“ (der Film ist kostenlos im Netz verfügbar).
Daraus entwickelte sich mit der Zeit der Gedanke, ein Buch zu schreiben. Etwa seit 2011 habe ich dann den Plan konkret verfolgt.
Gibt es literarische Vorbilder, die Dich inspiriert und ermutigt haben?
Sehr wichtig für mich war das Buch „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm. Bezüglich der Collage von sehr unterschiedlichen Textarten hat mich sicher „Das Echolot“ von Walter Kempowski inspiriert.
Wie sahen die Schreibanfänge im Projekt „Die Königin von Troisdorf“ aus?
2010 starb meine Tante Hilde, die Schwester meiner Mutter. Der Bruder der beiden, also mein Onkel Günther, war Silvester 1941 mit 20 Jahren in der Ukraine gefallen. Ich erbte von meiner Tante einen Karton mit Briefen, die Günther an sie geschrieben hatte, dann überließ mir meine Mutter auch noch die Briefe, die er an seine Eltern geschrieben hatte. Es waren insgesamt 150 Briefe. Ich habe sie entziffert, abgetippt und dabei wurde mir klar, ich könnte hervorragend eine Textcollage gestalten. Auszüge aus den Briefen, autobiographische Passagen meine Kindheit betreffend und sozusagen klassisch romanhaft erzählte Kapitel über die Ereignisse, die vor meiner Geburt lagen. Ich war mir sofort sicher, das würde funktionieren. Ich bin durch meine Tätigkeit als Filmemacher sehr trainiert darauf abzuschätzen, worauf ein Publikum reagiert.
Als Dokumentarfilmer hast Du Dich auch intensiv mit den Auswirkungen von Kriegstraumata auf Familien auseinandergesetzt, wie zum Beispiel in „Söhne ohne Väter“ (ZDF 2007). Welche Rolle haben diese Erfahrungen für das Schreiben von „Die Königin von Troisdorf” gespielt?
Die Erfahrungen mit den Arbeiten an meinen Filmen haben mir den Blick geschärft für die Ereignisse in meiner eigenen Familiengeschichte. Rückblickend würde ich aber auch sagen, ich habe mit einigen Filmen schon viel von meiner Familie und mir erzählt, sozusagen über Stellvertreter. Das war mir damals aber nicht in Gänze bewusst.
Zehn Jahre hast Du an dem Roman gearbeitet. Ich nehme an, dass es auch Schreibkrisen gab. Wenn ja, wie sahen die aus und wie hast Du sie überwunden?
Natürlich gab es in dieser Zeit auch Krisen, dann habe ich die Arbeit an dem Text unterbrochen und etwas anderes gemacht. Es gab allerdings nie eine Situation, in der ich daran dachte, das ganze Buchprojekt zu lassen.
Schlimmer als die Schreibkrisen war, das muss ich erwähnen, die Zeit, als ich mit meinem Manuskript versuchte einen Verlag zu finden und nie auch nur eine Antwort bekam. Das erstreckte sich über knapp 2 Jahre und hat mich schwerer umgeworfen als die Schreibkrisen.
Auffallend an Deinem Roman ist die Struktur, die scheinbar ohne Ordnung zwischen den Jahren Deiner Kindheit und Jugendzeit springt und dazwischen Abstecher in die Vergangenheit der Eltern und Großeltern macht. Ich war erstaunt, dass mir das während des Lesens nicht die Spannung nahm. Wie bist Du darauf gekommen? Gab es Versuche, es anders zu strukturieren, in dem Du zum Beispiel einen roten Handlungsfaden folgen wolltest?
Nein, es gab keine anderen Versuche. Ich kann es nicht weiter erklären. Diese von Dir beschriebene Struktur war mir in dem Moment klar, als ich mich für das Schreiben eines längeren Textes entschied.
Ich habe übrigens mit Kritik an der ungewohnten Struktur gerechnet. Tatsächlich gab es die kaum! Nur in Einzelfällen hörte ich, dass Leser damit Schwierigkeiten hatten. Es hat mich sehr beglückt, dass dieses Collageprinzip aufgegangen ist.
Du schilderst eindrücklich die Gewalt gegen Dich als Kind, körperliche wie verbale Gewalt gleichermaßen. Der Schmerz, der dabei unwillkürlich geweckt wurde, was hat der mit Dir gemacht und wie hat er Dein Schreiben beeinflußt?
Dieses Waten in den alten Sümpfen hat mich zwischendurch immer wieder aus der Bahn geworfen. Dann habe ich Pausen eingelegt, manchmal Monate. Ich war ja völlig allein mit mir und dem Projekt, es gab niemanden, der mir Zeitdruck gemacht oder anderweitig gedrängelt hätte. Andererseits hat es auch gutgetan, den angesprochenen Schmerz in diese Form zu gießen.
Ein passender Titel für Dein Buch wäre auch „Dann bist du Schuld“ gewesen, eine Aussage mit der Deine Mutter Dir als kleiner Junge Schuld suggerierte, was sich unausgesprochen wie ein roter Faden durch den Roman zieht. Ist Dir die Macht der Schuldgefühle erst über das Schreiben wirklich bewusst geworden oder hast du vorher schon eine intensive Auseinandersetzung mit ihnen durchlebt?
Leser fragen mich häufig bei Veranstaltungen oder im Mailkontakt, ob das Schreiben einen therapeutischen Effekt hatte. Wie eben gesagt, es hat schon gutgetan, die Geschichten niederzuschreiben. Ansonsten war die Reihenfolge umgekehrt. Ich habe viele Jahre diverse Therapien gemacht, vorwiegend zwischen meinem 30. und 45. Lebensjahr. Psychoanalyse, Familienaufstellungen ect. Die Erkenntnisse daraus sind in das Buch eingeflossen, ohne diese „Vorarbeiten“ wäre das Buch in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen.
Die große Leistung Deines Romans ist, aus den Erfahrungen Deiner Familie das Erbe einer traumatisierten Generation sichtbar gemacht zu haben. Die verdrängte Schuld der Generation, die den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebt haben, wird den eigenen Kindern aufgeladen und so weitervererbt. Sehen wir heute nicht wieder verstärkt die Folgen dieser Verdrängung und unbewussten Schuldübertragung? Wirkt diese Zeit mit ungeahnter Kraft nach?
Das, was du ansprichst, ist ja das so genannte Kriegsenkelthema. Seit etwa Mitte der 2000er Jahre haben zahlreiche Frauen und Männer meiner Generation Bücher geschrieben, Filme und Radiosendungen produziert zu der Thematik, außerdem strömen wir ohne Unterlass zu Psychoanalytikern, Familienaufstellern, Selbsterkenntnisgruppen. Ich behaupte jetzt einmal frech, dass noch nie in der Weltgeschichte sich eine Generation so intensiv mit dem ererbten Gepäck beschäftigt hat und weiterhin beschäftigt wie wir. So denke ich, dass wir Babyboomer mit dieser Form der Bearbeitung einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, um die Wirkungskette zu unterbrechen. Denn, das einzige, das hilft, ist Bewusstsein.
Aber natürlich, wenn man aktuelle Strömungen in unserer Gesellschaft betrachtet, ist noch viel zu tun. Auch daran kein Zweifel.
Die Deutungshoheit liegt beim Rezipienten. Das ist für mich ein wesentlicher Arbeitsgrundsatz.
Wie hast Du es geschafft, niemanden zu verurteilen, von denen, die Dir so weh getan haben?
Ich freue mich, wenn das so empfunden wird. Es war ja überhaupt nicht meine Absicht. Ich wollte alle „Teilnehmenden“ in ihren eigenen, dunklen Verstrickungen zeigen. Es ging mir um die tiefere Wahrheit und nicht um plakative Verurteilungen.
Dein Stil ist unaufgeregt und teilnehmend, er schildert das Leben Deiner Familie präzise mit teilnehmender Distanz. Ganz sparsam nur rücken die Gefühle des Kindes in eher zurückhaltenden Sätzen in den Vordergrund, Introspektion gibt so gut wie keine. Warum war Dir das wichtig?
Für mich als Filmemacher gibt es einen entscheidenden Begriff, nämlich den der Deutungshoheit. Ich finde es furchtbar, wenn mir in einem Film oder einem Buch eine Geschichte präsentiert wird und gleichzeitig wird mir erzählt, wie ich diese zu interpretieren habe. Ein leider weit verbreitetes Verfahren. Ich habe etwa in meinem zu Anfang angesprochenem Film Söhne ohne Väter über kriegsbedingt vaterlos aufgewachsene Männer meine Protagonisten erzählen lassen, ich habe die Berichte montiert, aber es gibt keine Erzählerstimme, die Deutungen vornimmt.
Die Deutungshoheit liegt beim Rezipienten.
Das ist für mich ein wesentlicher Arbeitsgrundsatz. So habe ich das beim Schreiben des Buches auch gehalten. Die Effekte sind so auch viel stärker. Sowohl bezüglich meiner Filme als auch hinsichtlich des Buches wird mir von Zuschauern oder Lesern immer wieder berichtet, sie hätten einen „Sogeffekt“ verspürt. Leute haben beim Fernsehen zufällig in meinen Film hineingezappt und konnten dann nicht aufhören zu schauen. Leute bekamen das Buch geschenkt und haben es an einem Wochenende nahezu rauschhaft gelesen. Ich bin sehr happy, wenn ich dergleichen höre. Ich führe das auf den oben beschriebenen Arbeitsgrundsatz zurück.
Und wie Du auf den Buchtitel gekommen?
Die Suche nach dem Titel war wirklich furchtbar langwierig. Letztlich hatte ich eine Liste von 12 Titeln, die für mich infrage kamen. „Die Königin von Troisdorf” bezieht sich auf eine Geschichte mit meiner Oma, die ich im Buch erzähle.
Wichtig war mir, dass der Titel etwas rätselhaft ist, so dass der Besucher einer Buchhandlung, dem der Titel ins Auge fällt, den entscheidenden Moment innehält und sich fragt: Was ist das denn? Im günstigen Fall nimmt er dann interessiert das Buch zur Hand und trägt es letztlich zur Kasse.
Kunden kommen und kaufen das Buch allein aufgrund des Titels und des Covers.
Kaum zu trennen ist der Titel von dem Coverfoto, welches meine Oma, die Königin, und mich im Jahr 1970 zeigt. Als mir diese Kombination in den Sinn kam, wusste ich, das würde sehr gut funktionieren. Die Grafikerin Sandra Kastl hat dann toll meine Grundideen umgesetzt und noch weitergeführt, von ihr stammte die Idee, Omas Beine auf die Rückseite des Buches zu platzieren. Grandios! Ich war völlig begeistert, als Sandra mir den ersten Entwurf zeigte!
Tatsächlich berichten mir viele Buchhändler, die das Buch im Schaufenster stehen haben, Kunden kommen und kaufen das Buch allein aufgrund des Titels und des Covers, ohne zu wissen, worum es sich genau handelt.
Wer hat Dir bei der Entstehung des Romans geholfen? Wie sah die Hilfe aus?
Hier müsste ich eine sehr lange Liste einfügen, es findet sich ja in meinem Buch eine lange Dankesliste. Viele Menschen in meinem Umfeld haben mich über lange Zeit ermuntert und mir gesagt, sie wollen nun endlich das Buch lesen!
Ganz besonders hilfreich waren aber natürlich meine drei Lektoren:
Karin Laub, Kuno Rinke und Gerold Hens. Es sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die jeweils in verschiedenen Entstehungsphasen ihren Blick darauf geworfen haben, das war großartig und extrem hilfreich. Gerold Hens war zum Beispiel der „Abschlusslektor“ und hat den ganzen Text Satz für Satz noch einmal mit mir durchgearbeitet, er ist ein ganz hervorragender Lektor. Aber er hat mir nie Vorschriften gemacht, sondern immer nur Angebote. Wenn ich bei einem Satzbau, einer Formulierung oder einer Satzlänge unbedingt bleiben wollte, die er kritisierte, war das nie ein Problem. Ich hatte den FINAL CUT, anders wäre es auch nicht gegangen. Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, hätte ich doch einen Verlag gefunden und man hätte mir einen Lektor „verordnet“, mit dem die Chemie nicht gestimmt hätte.
Sehr wichtig waren auch meine 10 Testleserinnen und Testleser, die das Manuskript in der ersten Fassung gelesen haben.
Aber an dieser Stelle muss ich unbedingt auch noch von einem Menschen erzählen, der in der Vergangenheit sehr wichtig für mich war. 1980 besuchte ich an der Volkshochschule Troisdorf einen Kurs für kreatives Schreiben, der Kursleiter war der Schriftsteller Paul Hubrich, den es auf geheimnisvolle Weise nach Troisdorf verschlagen hatte. Wir freundeten uns an und ich hatte über einen Zeitraum von etwa anderthalb Jahren einen knüppelharten aber großartigen Lehrmeister. Von Hubrich habe ich irrsinnig viel über Struktur, Rhythmus und Präzision gelernt, aber auch sehr viele praktische Tipps hinsichtlich des Schreibprozesses bekommen. Leider ist Paul Hubrich 1982 verstorben.
Nun ist Paul Hubrich schon so lange tot, und doch hatte ich während der Arbeit an meinem Buch oft das Gefühl, er steht hinter mir, schaut mir über die Schulter und schimpft, weil ich weitschweifig wurde, oder der Rhythmus meiner Sätze nicht stimmte.
Du hast mir nach einer Lesung erzählt, dass Du vor der Veröffentlichung ganz bewusst jungen Menschen Dein Manuskript zum Lesen gegeben hattest. Warum und was kam dabei heraus?
Ja, ich hatte wie gesagt etwa 10 Testleserinnen und Leser, quer durch alle Altersstufen und sonstigen Verhältnissen. Das war sehr interessant. Mein jüngster Testleser war Dominik Gasser, zu der Zeit 21 Jahre alt. Mich interessierte sehr, ob er etwas mit dem Text anfangen kann, oder ob das alles zu weit von seiner Lebenswirklichkeit entfernt ist. Unter uns gesagt, ich hatte damit gerechnet, dass er nach einigen Tagen anruft und mir sagt, ich kann das nicht weiterlesen. Ich kann damit nichts anfangen. Das Gegenteil war der Fall, das stimmte mich doch sehr optimistisch!
Dann kam die langwierige Verlagssuche. Mit dem Ergebnis, dass Du Dich motiviert sahst, einen eigenen Verlag zu gründen. Wie kam es dazu und welche Hürden musstest Du überwinden?
Sorry, ich „sah mich nicht motiviert“, das ist nicht die passende Formulierung. Ich war einfach gezwungen, wenn ich das Manuskript nicht in der Schublade verschwinden lassen wollte, und das war zu keinem Zeitpunkt eine Option.
Grundsätzlich muss ich feststellen, dass der Autor, der sein eigenes Buch produziert und vertreibt, in der ganzen Branche das mieseste Ansehen hat.
Also kurzum, ich bekam von keinem Verlag auch nur eine Antwort und dann habe ich begonnen, mich schlau zu machen. Der formaljuristische Schritt des Eröffnens eines Verlages ist ein Mausklick auf der Website für Gewerbeanmeldungen. Dann ging der Spaß erst richtig los. Ich musste recherchieren und viele Leute befragen, die Ahnung von der Materie hatten, was man halt so tut, wenn man keine Ahnung hat. Und ich muss sagen, ich hatte sowas von keine Ahnung! Ich habe mich immer Schritt für Schritt vorgetastet. Die größte Hürde war wirklich meine Unwissenheit, aber dank vieler freundlicher, hilfsbereiter Menschen habe ich die Geschichte in den Griff bekommen.
Du erwähntest einmal, dass es schwierig war, als neugegründeter Verlag in die Vertriebsstrukturen des Buchhandels zu kommen. Was war passiert und wie lief der Verkauf anfänglich und im Laufe der Zeit?
Es gibt für den Buchhandel Zwischenhändler, die sind ungemein wichtig. Für die Buchhändler bedeutet es eine große Arbeitserleichterung und große namhafte Ketten bestellen auch fast ausschließlich bei Zwischenhändlern. Dagegen ist ja im Prinzip nichts einzuwenden. Das Problem ist, dass die Zwischenhändler nur Verlage ab einer gewissen Größe in ihr Portfolio aufnehmen, also ab ca. 10 Titeln. Nun, ich hatte recht genau 1 Titel vorzuweisen. So gelang es mir etwa ein dreiviertel Jahr nicht, zu einem Zwischenhändler vorzudringen. Also mussten die Buchhandlungen direkt bei mir bestellen. Ich hatte die Bücher in einem Storage und habe selbst tagein tagaus nur noch Pakete gepackt und verschickt. Das Buch war ja sehr schnell sehr erfolgreich und ich hatte also bald ein richtiges Problem. Glücklicherweise wurde mir dann von einem anderen Kleinstverleger eine so genannte „Auslieferung“ empfohlen, die Firma SYNERGIA. Die SYNERGIA beliefert nun seit Ende 2022 die Buchhandlungen, das läuft absolut super und reibungslos, die haben mich gerettet. Inzwischen ist das Buch tatsächlich auch bei den Zwischenhändlern gelistet, aber das war ein langer Weg.
Grundsätzlich muss ich feststellen, dass der Autor, der sein eigenes Buch produziert und vertreibt, in der ganzen Branche das mieseste Ansehen hat, welches man sich denken kann. Es gibt Ausnahmen, großartige Buchhändler, die sich gerade auf den Wildwuchs neben dem Mainstream spezialisieren zum Beispiel. Aber im Großen und Ganzen ist das wirklich furchtbar, und das kannte ich nicht. Natürlich haben große Produktionsfirmen in der Filmbranche auch Vorteile und ein anderes Standing als ein kleiner Produzent, aber es gibt doch gerade im Dokumentarfilmbereich sehr viele Regisseure, die ihre eigene Produktionsfirma haben und für TV produzieren, so wie ich das über Jahrzehnte hinweg betrieben habe.
Du hast es ziemlich schnell geschafft, auf die Shortlist des Wettbewerbs Literaturpreis Ruhr (2022) zu kommen. Wie hast Du das erreicht?
Da muss ich wirklich schmunzeln. Das kann man selbst nicht „erreichen“! Ich habe von dem Wettbewerb erfahren, habe mein Buch hingeschickt und die Jury des Wettbewerbs hat sich dafür entschieden, es auf die Shortlist zu setzen, das waren dann 5 von 53 eingereichten Titeln, wenn ich das richtig im Kopf habe. So läuft der Hase.
Das hat mich selbstredend sehr gefreut und hat ganz erheblich zur Verbreitung des Buches beigetragen.
Wie wurde Dein Buch besprochen? Gab es auch Kritik oder Interpretationen, die Dich geärgert oder überrascht haben?
Tatsächlich gab es sehr viele Besprechungen, das war großartig. Es war aufgrund der vorgenannten Strukturen nicht unbedingt zu erwarten. Die Besprechungen waren durch die Bank weg äußerst positiv. Es wurde gelegentlich kritisiert, es handele sich aufgrund der Textstruktur und der autobiographischen Anteile nicht um einen Roman, doch damit kann ich leben. Ich habe auch dann, weil mich die Frage wirklich interessierte, eine Literaturwissenschaftlerin konsultiert, die mir bescheinigte, dass es sich zwar um einen formal ungewöhnlichen aber um einen Roman handelt.
Ich habe von Literaturbloggern viele sehr kluge und hervorragend geschriebene Kritiken erhalten.
Hier will ich aber unbedingt noch meine Presseagentin Birgit Böllinger erwähnen, die eine sehr engagierte Pressearbeit gemacht hat, als das Buch erschien. Frau Böllinger hatte auch die Szene der Literaturblogger auf dem Schirm. Ich wusste zwar, dass es die gibt, mir war aber nicht klar, wie groß diese Szene ist und wie gut die ist! Ich habe von Literaturbloggern viele sehr kluge und hervorragend geschriebene Kritiken erhalten. Die sind alle auf meiner Website www.eschen4.de eingestellt. 😉
Hat sich Dein Buch auch wirtschaftlich gelohnt?
Nein.
Bleibt „Die Königin von Troisdorf” die einzigen Veröffentlichung Deines Verlages?
Das weiß ich noch nicht zu sagen. Auf jeden Fall habe ich mich entschieden, keine Bücher anderer Autoren ins Programm zu nehmen. Es gab diesbezüglich viele Anfragen in den letzten Monaten, ich habe auch intensiv darüber nachgedacht und habe mich entschieden, den Verlag nicht in dieser Richtung auszuweiten. Über weitere eigene Bücher kann ich im Moment nicht nachdenken, ich bin noch sehr mit der „Königin“ beschäftigt.
Du hast mittlerweile viele Lesungen gegeben. Was hat Dich besonders beeindruckt, was war hocherfreulich und was eher nicht?
Grundsätzlich will ich sagen, dass ich auf meinem Weg mit dem Buch sehr viele großartige Buchhändlerinnen und Buchhändler kennengelernt habe! Es hat mich beeindruckt, wie viele engagierte, kluge und begeisterungsfähige Leute im Buchhandel unterwegs sind. Weiterhin darf ich berichten, dass alle Lesungen, die ich mit dem Buch gemacht habe, ausverkauft oder fast ausverkauft waren. Das freut den Autor doch ganz besonders! Immer gab es zauberhafte Publikumsgespräche und großen Zuspruch. Inzwischen kommen viele Leute, die das Buch schon gelesen haben, so lässt sich noch besser über Form oder Inhalt sprechen. Sämtliche Lesungen waren schöne Erlebnisse für mich und ich bin allen Beteiligten sehr dankbar, die diese Veranstaltungen ermöglicht und durchgeführt haben!
Es hat mich beeindruckt, wie viele engagierte, kluge und begeisterungsfähige Leute im Buchhandel unterwegs sind.
Unerfreulich war nur, wenn die Lesung so spät endete, dass alle Restaurants in der Umgebung geschlossen waren, denn hinterher mit den Buchhändlern, Sprechern und im günstigen Fall Restbeständen des Publikums noch in Ruhe eine Nudel zu essen oder zwei ist für mich jedes Mal ein Fest.
Du liest nicht selbst auf Lesungen. Wer liest und warum? Wie kommt das beim Publikum an?
Es ist so. Ich bin sehr verbunden mit meinen Gefühlen, ein Umstand, der überhaupt das Schreiben des Buches für mich möglich gemacht hat. Dieser Umstand macht es mir aber unmöglich, selbst aus dem Buch vor Publikum zu lesen. Mir wäre die Gefahr zu groß, vor Publikum sehr emotional zu reagieren, wenn ich beispielsweise ein Kapitel über meinen alkoholkranken Vater läse. Das wäre für mich nicht schön und für das Publikum auch nicht.
Ich habe daher entschieden, dass ich Sprecher habe, die lesen, und hinterher führe ich das Publikumsgespräch. Ich habe zwei wundervolle Sprecher an meiner Seite, Tammin Julian Lee und Volker Niederfahrenhorst, beide sind großartig und lesen besser, als ich es je könnte.
Es gab diesbezüglich nie Probleme. Ich erkläre dem Publikum zu Beginn der Veranstaltung die Sachlage, dann verstehen die Leute das auch. Spätestens wenn Volker oder Tammin die ersten Sätze gelesen haben, fliegen ihnen die Herzen zu und alles ist gut.
Gibt es eine Frage, die Du gerne einmal gestellt bekämst in einem Interview?
Interessant wäre noch der Aspekt der Aggressionen gegen mich in Troisdorf. Die Frage dazu: Gibt es Leute in Troisdorf, die wütend auf dich sind, weil du dieses Buch geschrieben hast?
Nun, ich habe ja zweifellos ein klassisches, bürgerliches Tabu gebrochen. Was sich in der Familie abspielt, bleibt in der Familie. Ich habe ein dickes Buch darüber geschrieben. So hatte ich damit gerechnet, nach der Veröffentlichung böse Anrufe auf meinem AB vorzufinden, oder in einer meiner Lesungen in dieser Hinsicht angegangen zu werden. Das ist nicht passiert. Ich habe aber über Umwege erfahren, dass es durchaus Nachbarn meiner Eltern gibt oder etwa frühere Bekannte meiner Mutter aus dem Kirchenchor, die äußerst wütend auf mich sind. Gleichzeitig wurde mir aber auch erzählt, dass es in vielen Familien mit wütenden Eltern sehr intensive Diskussionen zwischen den aufgebrachten Eltern und deren Kinder gab, die in meinem Alter sind. Was kann es Schöneres für den Autor geben, als solche Wirkung zu entfalten!
Vielen Dank, dass ich hier von meiner Arbeit erzählen durfte!
Der Filmemacher Andreas Fischer (*1961) geht in seinem ersten Roman Die Königin von Troisdorf – Wie der Endsieg ausblieb den Themen nach, die ihn auch schon in mehreren seiner Filmprojekte beschäftigt haben: Wie sind wir zu denen geworden, die wir heute sind? Wie sah eine Kindheit in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus? Welche eigenen Traumata und Verkrüppelungen haben Eltern und Großeltern an die Kinder bzw. Enkel weitergegeben, die während der Wirtschaftswunderzeit aufgewachsen sind?
Das mag zunächst vielleicht nicht nach spannender Literatur klingen, doch ich habe dieses autobiografisch grundierte Buch regelrecht inhaliert. Es ist irritierend, dass Fischer keinen Verlag für dieses unfassbar gute Buch gefunden und es deshalb schließlich selbst verlegt hat.
Fischer schreibt nicht chronologisch, sondern reiht kurze Szenen in überraschenden Zeitsprüngen aneinander, die – wie in einem ungeordneten Kasten voller Fotos – ein Schlaglicht auf eine bestimmte Situation werfen. Und diese Form samt der unsentimentalen Sprache, die Fischer für seinen Inhalt gewählt hat, sorgen dafür, dass sich das Buch weit über das Niveau bloßer Erinnerungsbücher erhebt. Zeigt doch dieses Mosaik, dass immer alles in uns zeitgleich gegenwärtig ist, die kleinen, die großen, die hässlichen und die schönen Momente.
Andreas Fischer hat einen längst überfälligen Roman geschrieben, der mehr als ein „Kriegsenkelroman“ ist: „Die Königin von Troisdorf. Wie der Endsieg ausblieb“.
Bereits der erste Blick auf das Titelbild des Buches weckte ambivalente Empfindungen. Einerseits lag Vertrautes in dem Foto, andererseits stieß es mich ab.
Vertraut die Farbanmutung, die Art und Weise, Kinder und Erwachsene hinzustellen, steif und ernst, dann die Kleidung und der Haarschnitt des Jungen, zudem der Blick der Oma. So wie sie steht und auf den Jungen schaut, erinnert sie mich an die Strenge und Verächtlichkeit der Erwachsenen gegenüber den Kindern in den sechziger und siebziger Jahren, zudem an die trostlose Langeweile, die von ihnen ausging, das Befremden, mit dem sie mich abstießen.
Das Foto nimmt als Titelbild symbiotisch vorweg, was der Roman erzählen wird.
Am Ende der letzten Seite spürte ich ein Bedauern, nicht weiter lesen zu können. Der Roman rang mir einen Abschied ab. Und Bewunderung für Andreas Fischer. Als Buch wäre der Text wohl nie erschienen, wenn der Autor nicht selbst einen Verlag dafür gegründet hätte. Ein mutiger Schritt, ein so wichtiger Schritt.
Diesem – die von Oma Lena beherrschte rheinische Provinzstadt Troisdorf in den Mittelpunkt stellenden – Roman wünsche ich zehntausende Leser. Sie können sich schon freuen, werden’s nicht bereuen. (Schon kommen die Freunde aus Ecken gekrochen, haben Braten wohl gerochen …)
Lakonische Abrechnung mit einer typischen westdeutschen Nachkriegskindheit: Andreas Fischers Roman „Die Königin von Troisdorf“. […] Es hätte einen Preis verdient als das stille Manifest einer ganzen Generation. Fischer übrigens ist jetzt schon glücklich mit der Resonanz auf sein Buch. Das Schreiben an dem Thema habe ihn „von Grund auf durchgequirlt“, sagt er. Aber nun „ist es gut damit“.
Die Königin von Troisdorf ist eines meiner diesjährigen Lesehighlights. In seinem Debütroman entfaltet Andreas Fischer nicht nur eine drei Generationen umfassende Familiengeschichte, sondern zugleich ein Gesellschaftspanorama des zwanzigsten Jahrhunderts.[…] Dabei gelingt es dem Autor meisterhaft, die einzelnen Passagen zu einem wirkungsvollen Gesamtbild zu montieren: einfühlsam, aber nicht sentimental, melancholisch, aber nicht larmoyant, ungeschönt, aber nicht erbarmungslos.
Kurzum: ein wahrer und wahrhaftiger Ausnahmeroman!
Ein Kriegsenkelroman, schreibt der Verlag im Klappentext und liegt damit trotz gewisser Bezüge ein wenig daneben. Es ist das bittere Protokoll einer verlorenen Kindheit, eine Abrechnung – und dann ist es schließlich doch noch das Testament, das der 14jährige 1975 vernichten mußte. In seinem Gedächtnis ist es eingebrannt geblieben. Im Gedächtnis der Leser wird es bleiben. Sehr zu empfehlen – und unser Buch der Woche.